Die Ortsplanung und die örtliche Baupolizei sind Sache der politischen Gemeinde (Art.1 und Art. 135 PBG). Deshalb obliegt der Vollzug der Vorschriften über Anforderungen an Bauzonen und Baubewilligungen in lärmbelasteten Gebieten der politischen Gemeinde.
Bei Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte braucht es eine kantonale Zustimmung.
Einhaltung der Grenzwerte in sämtlichen Fenstern von lärmempfindlichen Räumen
Das Bundesgericht beurteilte mit Entscheid vom 16. März 2016 die Lüftungsfensterpraxis als nicht rechtskonform. Neu sind die Grenzwerte in sämtlichen Fenstern eines lärmempfindlichen Raumes einzuhalten. Trifft dies nicht zu, ist eine Ausnahmebewilligung notwendig (kantonale Zustimmung nach Art. 31 Abs. 2 LSV) inkl. Auflagen. Zuständige Stelle ist das Amt für Umwelt.
In erster Linie müssen bei Bauvorhaben in lärmbelasteten Gebieten die lärmempfindlichen Räume auf der dem Lärm abgewandten Seite des Gebäudes angeordnet oder bauliche bzw. gestalterische Massnahmen getroffen werden, die das Gebäude gegen Lärm abschirmen. Werden die massgebenden Werte mit solchen Massnahmen nicht an allen Fenstern eingehalten, kann an zentraler Lage und dicht überbauten gut erschlossener Lage beim Kanton eine Zustimmung, im Sinne einer Ausnahmebewilligung, beantragt werden.
Die Lüftungsfenster gelten weiterhin als Schallschutzmassnahme für den Innenraum und erleichtern die Erteilung einer kantonalen Zustimmung.
Aufgaben der Gemeinde
Neue Bauzonen für Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen und neue nicht überbaubare Zonen mit erhöhtem Lärmschutzbedürfnis dürfen nur in Gebieten ausgeschieden werden, in denen die Lärmimmissionen die Planungswerte nicht überschreiten oder in denen diese Werte durch planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen eingehalten werden können.
Nicht erschlossene Bauzonen dürfen nur so weit erschlossen werden, als die Planungswerte eingehalten sind oder durch bestimmte Massnahmen eingehalten werden können (Art. 30 LSV). Dabei stehen grundsätzlich die gleichen planerischen, gestalterischen oder baulichen Massnahmen zur Verfügung wie bei der Ausscheidung neuer Bauzonen. Zusätzlich können auch Änderungen der Nutzungsart (Umzonungen) vorgenommen werden. Ausnahmen sind für kleine Teile von Bauzonen möglich (Art. 30 LSV).
In lärmbelasteten Gebieten – d.h. in Gebieten, in denen die Immissionsgrenzwerte überschritten sind – dürfen Neubauten und wesentliche Änderungen von Gebäuden mit lärmempfindlichen Räumen nur bewilligt werden, wenn die Immissionsgrenzwerte durch die Anordnung der lärmempfindlichen Räume oder durch bauliche oder gestalterische Massnahmen eingehalten werden können (Art. 31 LSV, SR 814.41).
Vorgehen auf Stufe Gemeinde bei Bauvorhaben im lärmbelasteten Gebiet im Check:
- Allen Bauvorhaben mit lärmempfindlichen Räumen, die im Strassenlärmbelastungskataster im roten Pufferbereich der Strasse liegen, muss ein Lärmgutachten beiliegen (Strassenlärmbelastungskataster Kt SG - Geoportal). In der Praxis sind Autobahnen, Kantonsstrassen und Gemeindestrassen Erster Klasse oftmals für IGW-Überschreitungen verantwortlich.
- Im Lärmgutachten muss aufgezeigt werden, dass die Immissionsgrenzwerte in jedem Fenster von lärmempfindlichen Räumen eingehalten sind (Wohnen, Büro, Dienstleistung u.Ä.).
Das Merkblatt AFU205 definiert in Ziff. 1 die massgebenden Begriffe und zeigt in Ziff. 2 auf, welche Massnahmen die Bauherrschaft treffen muss, um die IGW einzuhalten: AFU205: Bauen in Gebieten, die durch Verkehrslärm belastet sind - Anforderungen nach der Lärmschutz-Verordnung (sg.ch). Im Fokus steht dabei die Optimierung von Wohnungsgrundrissen sowie bauliche und gestalterische Massnahmen am Gebäude oder auf dem Ausbreitungsweg des Lärms. - Wird im Lärmgutachten festgestellt, dass die IGW eingehalten werden, sind keine weiteren Massnahmen notwendig.
- Sind hingegen in einzelnen Fenstern lärmempfindlicher Räume die IGW überschritten, fordert die Gemeinde die Bauherrschaft auf, das Vorhaben hinsichtlich Lärm mittels Massnahmen gemäss Merkblatt AFU205 zu optimieren. Diese Massnahmen müssen zugleich die Vorgaben von Baugesetz und Baureglement erfüllen.
- Ist nach Beurteilung der Gemeinde gestützt auf das Merkblatt 205 keine weitere Optimierung möglich, stellt sie möglichst früh im Baubewilligungsprozess einen begründeten Antrag auf Erteilung einer Zustimmung. Dazu reicht die Gemeinde das Antragsformular sowie eine Kopie des Baugesuchformulars G1 an die Baugesuchskoordination ein (Antragsformular: Bauzonen und Baubewilligungen in lärmbelasteten Gebieten | sg.ch –> Hilfsmittel). Frühzeitige Antragstellung ist wichtig, falls der Kanton für das Vorhaben in der ursprünglich geplanten Form die Zustimmung verweigern müsste.
Der Kanton erteilt die Zustimmung nach Art. 31 Abs. 2 LSV, wenn an der Errichtung des Gebäudes ein überwiegendes Interesse besteht. Das überwiegende Interesse kann sowohl privater als auch öffentlicher Natur sein. Es ist bspw. denkbar, dass aus Gründen des Denkmal- oder Heimatschutzes, für die Erhaltung eines Betriebs oder zur Füllung von Lücken in weitgehend überbauten Gebieten eine Baubewilligung mit kantonaler Zustimmung erteilt wird.
Zu beachten ist, dass bei Einzonung / Erschliessung des Baugrundes ab dem 1. Januar 1985 die strengeren Planungswerte gelten. Diese sind grundsätzlich einzuhalten, weshalb keine Zustimmung für eine IGW-Überschreitung erteilt werden kann.
Beratung durch die Fachspezialistinnen Lärmschutz, Claudia Bond und Regula Malin
BUD, Amt für Umwelt
Weiterführende Informationen
Quelle | Entscheid |
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142 II 100 (bger.ch) |
Im Gebiet Bölli Süd, unmittelbar angrenzend an die bereits überbaute Arbeitszone, sollte die bestehende Wohnzone (ES II) mit Einfamilienhäusern überbaut werden. Die IGW waren in der Wohnzone um bis zu 15 dB(A) überschritten. In Anwendung der sogenannten Lüftungsfensterpraxis hätte genügt, wenn die Immissionsgrenzwerte nicht an allen, sondern nur mindestens an einem (zum Lüften geeigneten) Fenster jedes lärmempfindlichen Raums eingehalten worden wären. Das Bundesgericht stellt fest, die "Lüftungsfensterpraxis" widerspreche dem geltenden Umweltschutzrecht, insbesondere würde dadurch der vom Gesetzgeber gewollte Gesundheitsschutz ausgehöhlt. Wichtigen Anliegen der Raumplanung, namentlich der Siedlungsverdichtung und -entwicklung nach innen, könne auf dem Wege der Ausnahmebewilligung Rechnung getragen werden. |
1C_244/2019 25.08.2020 - Schweizerisches Bundesgericht (bger.ch) | Abbruch Einfamilienhaus und Neubau Terrassen-Mehrfamilienhaus in Wohnzone (ES II) mit Ausrichtung gegen Kantonsstrasse. IGW in Wohnzimmern überschritten. Die Massnahmenprüfung, welche die Behörde im Rahmen der Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV vorgenommen hat, war ungenügend. Der Baugesuchsteller hätte nachweisen müssen, dass er alle in Betracht fallenden baulichen und gestalterischen Massnahmen gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. b LSV geprüft hat. Die Behörde wiederum hätte prüfen müssen, ob sämtliche verhältnismässigen Massnahmen ausgeschöpft worden sind. Nur wenn dies zutrifft, kommt als «ultima ratio» die Gewährung einer Ausnahme in Betracht. Das Bundesgericht verweist auf seine beiden Urteile 1C_106/2018 vom 2. April 2019 E. 4.2 und 1C_568/ 2018 vom 4. Dezember 2019 E. 4.4.2 f. |
Es muss aufgrund einer gesamthaften Betrachtung entschieden werden, ob die Änderung einer Anlage als "wesentlich" qualifiziert und den Rechtsfolgen von Art. 18 USG i.V.m. Art. 8 Abs. 2 LSV unterstellt werden muss. Zu berücksichtigen sind u.a. der Umfang der baulichen Massnahmen und die Kosten: Kommen diese einem Neubau bzw. einem Wiederaufbau nahe (i.S.v. Art. 8 Abs. 3 Satz 2 USG), so ist die Änderung in der Regel wesentlich, auch wenn die Anlage gleichzeitig saniert wird und die Lärmemissionen reduziert werden. Eine wesentliche Änderung ist auch anzunehmen, wenn das Projekt die Lebensdauer der Gesamtanlage erheblich verlängert: Die Regelung in Art. 20 USG, wonach passive Schallschutzmassnahmen erst ab Erreichen des Alarmwerts anzuordnen und vom Inhaber der lärmigen Anlagen zu finanzieren sind, mutet den Anwohnern von bestehenden Verkehrsanlagen eine hohe Lärmbelastung zu. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf bestehende, nicht wesentlich geänderte Altanlagen, d.h. auf Anlagen, deren Bausubstanz im Wesentlichen noch aus der Zeit vor 1985 stammt und deren Lebensdauer daher beschränkt ist. Es würde dem Auftrag, Menschen vor schädlichen und lästigen Einwirkungen zu schützen (Art. 74 BV) widersprechen, wenn bestehende Anlagen vollständig erneuert werden könnten, ohne dass die Anwohner wenigstens durch Schallschutzfenster vor übermässigen Immissionen geschützt würden. | |
URP 2005, 761 oder BGE 1A.130/2005 |
In einer noch nicht erschlossenen, rund 3'000 m2 grossen Baulücke inmitten bereits überbauten Baugebiets sollen fünf Einfamilienhäuser realisiert werden, wobei bei vier Bauparzellen die Planungswerte für Lärm, nicht aber die Immissionsgrenzwerte mehrheitlich überschritten werden. Bei der Anwendung von Art. 24 Abs. 2 USG ist nicht die einzelne Parzelle, sondern ein grösseres Gebiet im Zusammenhang zu betrachten. Deshalb rechtfertigt es sich im vorliegenden Fall, die Erschliessung der betreffenden Bauparzellen gestützt auf die Ausnahmeregelung von Art. 30 Satz 2 LSV zu gestatten. |
URP 2003, 708 | Die Belastungsgrenzwerte müssen auch auf noch nicht überbauten Nachbarparzellen eingehalten werden. Allfällige Massnahmen können mittels Auflagen in der Baubewilligung angeordnet werden. Es genügt, wenn die nötigen Massnahmen dann verwirklicht werden, wenn ein konkretes Bauvorhaben für die Überbauung der betreffenden Nachbarparzelle besteht. |
URP 1999, 436 | Aufschub der Wirtschaftsschlussstunde bei einer Diskothek |
URP 1999, 419 | Nichterteilung einer Baubewilligung wegen Lärmimmissionen einer Schiessanlage |
URP 1998, 688 (VerwGer ZH) | Umbauten/ Erweiterungen eines Betriebes, der vor Inkrafttreten des USG keinen störenden Lärm verursachte, sind lärmmässig als Neuanlage zu beurteilen. |
URP 1998, 684 (VerwGer ZH) | Quartierplanverfahren: Abschluss erst, wenn erforderliche Mass-nahmen zur Erreichung der Planungswerte festgelegt sind |
URP 1998, 678 (VerwGer VS) | Nutzungsplanung und Eisenbahnlärm; bevor von ES II zu ES III aufgestuft wird, ist eine Sanierung zu prüfen. |
URP 1997, 590 (BGer) | Büroüberbauung mit 750 Parkplätzen; Luftbelastung, Lärm |
URP 1997, 577 (BGer) | Bauschuttsortieranlage. Im Bewilligungsverfahren ist definitiv abzuklären, ob Planungswerte eingehalten sind. |
URP 1997, 505 (BGer) | Umzonung eines Giessereibetriebes; Festlegung der ES; Besitzstandgarantie |
URP 1996, 680 (BGer) | Baubewilligung für Mehrfamilienhaus |
URP 1994, 129 oder BGE 120 Ib 76 |
Kostentragung von Lärmschutzmassnahmen |
URP 1994, 21 | Lärmschutz bei Asylbewerberunterkünften |
URP 1993, 449 oder ZBl 1994, 89 | Lärmschutz bei der strassenmässigen Erschliessung eines Wohngebietes |
URP 1993, 207 (BGer) | Umwandlungen von Wohnungen in Büros wegen Verkehrslärm |
URP 1991, 437 (RR BE) | Baubewilligungsverfahren für Mehrfamilienhäuser |
URP 1991, 136 oder BGE 117 Ib 125 |
Umnutzung von Wohnungen in Büroräume wegen Lärmimmissionen |
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