Das Umweltschutzgesetz wurde in erster Linie dazu geschaffen, technische Lärmarten wie Verkehrs- und Industrielärm zu bekämpfen. Die Rechtsprechung der Gerichte hat aber dessen Anwendungsbereich immer mehr auch auf den Alltags- und Nachbarschaftslärm ausgedehnt, welcher früher in erster Linie durch kantonale und kommunale Lärmschutzverordnungen geregelt war.
Rechtsgrundlagen
Aufgaben der Gemeinde
Da die LSV für die in der nachfolgenden Gerichts- und Verwaltungspraxis genannten Anlagen keine Grenzwerte festlegt, muss im einzelnen Anwendungsfall anhand der Grundsätze des Gesetzes geprüft werden, ob die Lärmimmissionen übermässig sind. Das erweist sich in der Praxis zuweilen als schwierig. Gutachten von Akustikfachleuten können zwar die notwendigen Grundlagen liefern und auf Analogien zu andern Lärmarten hinweisen, letztlich lässt sich der Entscheid jedoch nicht auf den Experten übertragen, sondern muss von der zuständigen Behörde getroffen werden. Dabei braucht nicht in jedem Fall ein grosser Aufwand zur Abklärung der fraglichen Immissionen betrieben zu werden. Bei Bagatellbelästigungen sind weder Messungen noch Lärmgutachten erforderlich.
Raum für Lärmvorschriften der Gemeinde bleibt im Bereich der Schalleinwirkungen, die nicht vom Bau oder Betrieb einer Anlage ausgehen oder die von beweglichen Geräten und Maschinen erzeugt werden und nicht durch bauliche Massnahmen gemäss Art. 4 Abs. 2 LSV wirksam begrenzt werden können (z.B. Lärm von Spielplätzen, Veranstaltungen, Konzerten, Modellflugzeugen usw.). Die Gemeinde kann zudem Regelungen für Lärmemissionen aufstellen, die den eigentlichen Zweck einer Tätigkeit ausmachen wie der Gebrauch von Tonwiedergabegeräten, Kirchengeläut oder die Verwendungen von Knallkörpern, weil das eidgenössische Lärmschutzrecht hierfür keine geeigneten Massnahmen bereitstellt.
Das AFU hat ein Muster-Immissionsschutzreglement sowie Bemerkungen dazu ausgearbeitet (siehe nachfolgend unter Hilfsmittel).
Weiterführende Informationen
Quelle | Entscheid zum Thema |
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BGer 1C_293/2017 | Das Bundesgericht hatte die Vergrösserung der Aussenwirtschaft von 20 auf 72 Sitzplätzen in einem Quartier mit einem Mindestwohnanteil von 60 Prozent zu beurteilen. Es bestätigte seine Rechtsprechung zur Beurteilung von Alltagslärm gestützt auf Art. 15 USG und präzisierte, dass die vom Cercle Bruit herausgegebene Vollzugshilfe zur Ermittlung und Beurteilung der Lärmbelastung im Zusammenhang mit dem Betrieb öffentlicher Lokale als Entscheidungshilfe für eine objektivierte Betrachtung berücksichtigt werden könne. Die Vollzugshilfe sei nicht nur auf öffentliche Lokale mit Musikerzeugung zugeschnitten, sondern umfasse alle Lärmimmissionen von Gaststätten, einschliesslich Kundenverkehr, Parkplatzlärm und durch Verkehr erzeugten Lärm. Zudem stellte das Bundesgericht wieder einmal fest, dass das Vorsorgeprinzip und die Planungswerte kumulativ gelten. |
BGer 1C_161/2015 | Die LSV stellt eine genügende gesetzliche Grundlage für die Einschränkung lärmerzeugender Aktivitäten an Samstagen dar, wenn die konkrete Situation dies rechtfertigt (E. 4.1 mit weiteren Hinweisen). |
URP 2002 86 | Altstoff Sammelstelle |
URP 1998, 73 und URP 1993, 356 und BGE 121 II 378 | Baulärm an beliebigen Anlagen |
BGE 1C_58/2011 vom 13.7.2011 | Bar in Altstadt (Nachtöffnungszeiten und Innenlärmbeschränkung) |
BGE 126 II 300, URP 2000, 634 | Brauchtumsanlässe (lärmige), Banntagschiessen |
URP 1997, 197 und 495 und BGE 123 II 325 |
Dancing |
URP 1992, 175 | Feuerwerk (privat) |
URP 2000, 242; VerwGer ZH URP 2012 281; Bau und Verkehrsdepartement Basel-Stadt BVD BS 020811 |
Froschlärm |
BGer 1C_299/2009 URP 1994, 167 und 172 |
Glassammelstelle |
URP 1997, 480 | Glockenspiel vor einem Uhrengeschäft |
BGE vom 5.1.1996, in: URP 1996, 335 | Hahnengeschrei (Störung der Nachbarn), privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Immissionsschutz |
URP 2000, 628 oder BGE 126 III 223 |
Hotel-Bar |
BGE 1C_498/2019 | Umnutzung Hotel mit Innenhof (Lärmüberschreitung) Die Sanierung und der Umbau eines Hotels mit einer Umnutzung/Umgestaltung des Innenhofes setzt eine Baubewilligung mit Würdigung der Lärmsituation voraus, sollte eine Überschreitung der Lärmbelastungsgrenzwerte möglich erscheinen. Eine bereits erteilte Baubewilligung verleiht kein Recht auf Überschreitung der Grenzwerte, sondern Art. 36 LSV ist jederzeit abrufbar. Zu beachten ist der gesamte Lärm von Menschen und Anlagen (max. Menschenmenge, Schall- und Halleffekte etc.) |
URP 2)009, 666 | Hühnerzucht |
URP 1995, 31; URP 1998, 77 | Hundezwinger |
BGE - 1C_538-2011 (Bern) |
Die Einschätzung, wonach die Haltung von bis zu 9 Hunden typischerweise zu Immissionen (insbesondere Bellen) führt, die über das hinausgehen, was normalerweise mit dem Wohnen verbunden ist, ist nicht zu beanstanden. Auch wenn die Hunde nicht ständig im Freien gehalten werden, müssen sie täglich im Freien ausgeführt werden bzw. genügend Auslauf haben (vgl. Art. 71 Abs. 1 TSchV). Gewerbliche Hundehaltung ist in der reinen Wohnzone nicht bewilligungsfähig. |
BGE 118 Ib 590 | Jugendtreffpunkt |
URP 2002, 103 oder BGE 1A.73/2001 |
Kinderspielplatz, kommunaler |
Pra 1997 Nr. 103 und BGE 123 II 74 |
Kinderspielplatz einer Wohnüberbauung |
BGE 1A.241/2004 | Kinderspielplatz und Begegnungsplatz |
VerwGer SG B 2022/182 |
Kinderlärm in Wohnzone (Tagesfamilie) Die Kinderbetreuung in Tagesfamilien wird gleich beurteilt wie diejenige in Kindertagesstätten (Kita). Gemäss BGer ist die Kita-Betreuung von bis zu 20 Kindern in einer W2 Zone zonenkonform. Der Lärm ist grundsätzlich zu dulden. Allerdings darf die Nutzung des Gartens (mit vorliegend Trampolin, Klettergerüst und Wasserbassin) höchstens geringfügige Lärmstörungen verursachen, welche durch die Gemeinde gemäss Art. 15 USG mittels objektivierter Betrachtung unter Berücksichtigung von Personen mit erhöhter Empfindlichkeit zu beurteilen sind (Lärmprognose erstellen). Dabei vermögen subjektive Gegebenheiten wie spezielle Arbeitszeiten oder besondere Ruhebedürfnisse der Anwohner eine Trampolinnutzung nicht generell auszuschliessen. Der Entscheid des BUD wurde geschützt (Rückweisung an Gemeinde zur Abklärung Sachverhalt und Entscheid über Lärmklage). |
ZBl 1989 499; URP 1996, 668; URP 2000, 257; URP 2000, 795 oder BGE 126 II 366; URP 2002,67 URP 2003,685 oder BGE 1A.240/2002 URP 2006,740 oder BGE 1A.159/2005 BGE 1C_297/2009 |
Kirchenglocken: Gemeinde B./ZH Zürich Bubikon/ZH Wangen/ZH Evang. Kirchgemeinde Thal-Lutzenberg Gossau/ZH Gossau/ZH |
BGer 1C_383/2016 vom 13.12.2017 Viertelstundenschlag von Kirchenglocken |
Der Entscheid enthält eine Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung über die Emissionen von Kirchenglocken in Erwägung 5.2. Die Abwägung zwischen den entgegenstehenden Interessen fällt nicht leicht und es erscheinen verschiedene Lösungsansätze vertretbar, wie auch die Diskussion an der öffentlichen Verhandlung des Bundesgerichts gezeigt hat. In dieser Situation kann der Gemeinde nicht vorgeworfen werden, ihren Beurteilungsspielraum überschritten zu haben, wenn sie der Beibehaltung des Viertelstundenschlags den Vorrang eingeräumt hat (E. 6.3). |
Urteil R2.2015.00088 vom 15.12.2015 Baurekursgericht ZH, vom Bundesgericht aufgehoben in 1C_383/2016 vom 13.12.2017 (vgl. oben) | Das Baurekursgericht hat unter Berufung auf eine ETH-Studie zum Thema «Nocturnal church bell noise» festgehalten, dass bereits Immissionen von 40 dB (A) zu Schlafstörungen führten. Den Stundenschlag ganz abzuschaffen, sei zwar übertrieben, aber eine «Reduktion der Schallereignisse» durchaus angebracht. Konkret verlangt das Gericht, dass die Kirche nur noch die vollen Stunden anzeigen darf. Auf das viertelstündliche «Ding-Dong» soll sie dagegen verzichten. So werde die Tradition gewahrt, und die Anwohner könnten besser schlafen. |
JuMi 2007 IV Nr. 35 | Kulturcafé |
BGE 101 II 248 und EGV Kt. SZ 2008, S. 131 (B 8.11) |
Kuhglocken |
BGE 115 Ib 446 | Kunsteisbahn, Erweiterung |
URP 2006, 137 und BGE 1A. 1/2005 |
Modellflugplatz |
URP 2001 500 | Nachtlokal (ehemals Restaurant) |
BGE 1A.39-2004 und BGE 1A.310-2000 |
Open-Air Veranstaltung |
URP 1996, 251 | Pavillon für öffentliche Musikdarbietungen |
Juristische Mitteilungen 2000 Nr. 20; BGE vom 21.3.2001; BGE vom 29.3.2001; BGE vom 15.5.2001, URP 2002, 701; URP 2003 703 | Restaurants |
URP 2002, 471 | Rockfestival |
URP 2001 147 | Sammelstelle für Siedlungsabfälle (éco-point) |
URP 2004, 345 | Schulanlage |
URP 1998, 529 und ZBl 2000 33 | Schuss- und Zwitscheranlage auf einem Rebgelände |
URP 2004 234 | Skateboardanlage |
BGE vom 17.8.1998 | Spielsalon |
URP 1989, 268, URP 1996, 248 | Sportanlage |
BGE 1C_169/2008 oder URP 2009, 123 und BGE 1C_34/2011 |
Sportlärm |
URP 1998, 162 | Stall für 2 Ponys |
Baudepartement St.Gallen 47/2013 | Haltung von 4 Hasen, 4 Hühnern und 6 Ziegen in der Wohnzone zonenkonform: Im Rahmen des Vorsorgeprinzips dürfen die Ziegen jedoch keine Glocken tragen. |
Links - im Zusammenhang mit Alltagslärm
- VUR Tagung vom 27.11.2008: Umgang mit Alltagslärm, URP 2009, 54ff.
- R. Muggli, Alltags- und Freizeitlärm: Umweltrecht, Nachbarrecht oder kantonales Polizeirecht? URP 2009, 54
- U. Walker, Umweltrechtliche Beurteilung von Alltags- und Freizeitlärm, URP 2009, 64
- R. Höin, Ermittlung und Dokumentation von Alltags- und Freizeitlärm, URP 2009, 89
- J. Hofer, Instrumente zur vorbeugenden Begrenzung von Alltags- und Freizeitlärm, URP 2009, 111
- Ermittlung und Beurteilung der Lärmbelastung im Zusammenhang mit dem Betrieb öffentlicher Lokale; Cercle Bruit
- Robert Wolf, Auswirkungen des Lärmschutzrechts auf Nutzungsplanung und Baubewilligung, AJP 1999
- Heinz Aemisegger, Aktuelle Fragen des Lärmschutzrechts in der Rechtssprechung des Bundesgerichts, URP 1994, 450 / 451
- Irene Graf, Kein Kinderspiel - Einige kritische Bemerkungen zum Bundesgerichtsentscheid betr. den Kinderspielplatz in Randogne, URP 1997, 331ff.
- Robert Hofmann, Keine Grenzwerte - kein Lärm, URP 1994, 419ff.
- Monika Kölz, Die Anwendbarkeit der bundesrechtlichen Lärmschutzvorschriften auf menschlichen Alltagslärm und verwandte Lärmarten, URP 1993, 377ff.
- Robert Wolf, Umstrittenes Lärmschutzrecht: Alltagslärm - kantonale Lärmschutzvorschriften - Bestimmung von Empfindlichkeitsstufen im Einzelfall, URP 1994, 97ff.
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