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Während die Ortsgeschichten im Staatsarchiv gut vertreten sind, ist die St.Galler Örtchengeschichte bislang weitgehend unerforscht. An mangelnder Wertschätzung dieser heimatlichen Örtchen kann es nicht liegen: Wie viele St.Gallerinnen und St.Galler schwärmen – gerade jetzt nach der Ferienzeit – von fernen Orten, aber nie von den dortigen Örtchen? Eben. Ein Örtchen ist heutzutage üblicherweise mehr als eine simple «Schîssgruob» à la Mittelalter – in der sonst noch allerhand entsorgt wurde, weshalb immerhin unsere KollegInnen von der Archäologie noch an ihr Freude haben.

Konkrete Vorstellungen zum idealen Örtchen gibt es freilich schon länger. Theodor Gohl, der damalige St.Galler Kantonsbaumeister, forderte 1888 beispielsweise für Schulhausbauten: «Die Abtritte sollen auf die Stockwerke gleichmässig vertheilt, für die Geschlechter, die Lehrer und die Lehrerwohnungen getrennt und auf der Schattenseite angebracht sein. Sie sollen nicht zu klein und eng gebaut, sondern geräumig angelegt werden. Die westliche Lage ist nicht zu empfehlen, weil einerseits die Erwärmung durch die Sonne und damit die Entwicklung schädlicher Gase eine relativ bedeutende ist und anderseits durch die häufigen Weststürme die Grubengase direct in das Gebäude hinein getrieben werden können.»

Örtchen im Bezirksgefängnis Alttoggenburg in Bazenheid, um 1977.

Ein weiteres, historisch gesehen junges Ausstattungsmerkmal der Örtchen ist das «papier-toilette». Dieses hat auch das lebende und bestimmt nicht stille Federvieh abgelöst, welches unsere Vorfahren – laut Wikipedia – manchmal zweckentfremdet hätten. Wer aber keinen Ärger mit dem Veterinäramt will, hamstert während der Pandemie lieber Klorollen statt Hühner und Gänse. Denn auch der Rückgriff – wie ehedem – auf ausgemusterte Telefonbücher ist im Internetzeitalter kaum mehr möglich. Immerhin für den Fall, dass auch die Seifen knapp werden, hatte der in St.Gallen ansässige Jacques Dreifuss 1927 eine patentierte Lösung: «Gegenstand vorliegender Erfindung ist eine Toiletteseife. Es ist bekannt, dass die Seifenstücke nicht oder sehr selten vollständig bis zu Ende gebraucht werden können. Die zu kleinen Seifenreste gehen sehr oft verloren. Zweck vorliegender Erfindung ist nun, der Toiletteseife eine solche Form zu geben, die ermöglicht, die klein gewordenen Seifenstücke mit einem neuen Stück zu vereinigen, so dass die Resten zusammen mit dem neuen Stück verwendet werden.» Nachhaltig. Recycelt. St Gallen kann es.

Und wer hält die stillen Örtchen hygienisch so in Schuss, dass man mit einer Zeitung oder einem Buch gerne etwas länger verweilt – selbstverständlich nur ausserhalb der Arbeitszeit? Dieses Kapitel einer Örtchengeschichte würde dann von den sich im unteren Lohnsegment befindlichen, aber trotzdem unerschrockenen «Putzfrauen» handeln, und natürlich auch den «-männern». Und so käme über die lokalen Örtchen bzw. deren Sozialgeschichte wieder die grosse, weite Welt ins Spiel.

Marcel Müller, Staatsarchiv

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