Wie läuft ein Strafverfahren ab?
Jede Person ist berechtigt, Straftaten bei der Polizei oder bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen (Art. 301 StPO). Am einfachsten ist es, die Anzeige mündlich beim nächsten Polizeiposten zu erstatten; die Beamten erstellen davon ein schriftliches Protokoll und leiten das Vorverfahren ein. Stellt die Polizei von sich aus Straftaten fest, so leitet sie ebenfalls ein Vorverfahren ein.
Handelt es sich um eine schwere Straftat, so informiert die Polizei unverzüglich die Staatsanwaltschaft (Art. 307 StPO). Diese eröffnet eine Untersuchung (Art. 309 StPO). In den übrigen Fällen stellt die Polizei den für eine Straftat relevanten Sachverhalt fest (Art. 306 StPO) und leitet nach Abschluss ihrer Ermittlungen ihre Feststellungen zusammen mit der Anzeige und den weiteren Akten der Staatsanwaltschaft zu (Art. 307 StPO).
Die Staatsanwaltschaft prüft nach dem Eingang der Anzeige, wie weiter vorzugehen ist. Sie hat im Wesentlichen fünf Möglichkeiten:
- Sie kann Nichtanhandnahme verfügen (Art. 310 StPO), wenn die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind. Die Staatsanwaltschaft teilt der anzeigenden Person auf deren Anfrage mit, ob ein Strafverfahren eingeleitet und wie es erledigt wird.
- Sie kann das Verfahren sistieren (Art. 314 StPO), wenn die Täterschaft oder ihr Aufenthalt unbekannt ist oder andere vorübergehende Verfahrenshindernisse bestehen (z.B. lange Abwesenheit der beschuldigten Person). Fällt der Grund der Sistierung weg, wird die Untersuchung weitergeführt.
- Sie kann einen Strafbefehl erlassen, wenn die beschuldigte Person den Sachverhalt eingestanden hat oder dieser anderweitig ausreichend geklärt ist und als Strafe Busse, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten in Frage kommt (Art. 309 Abs. 4 und 352 StPO).
- Sie kann bei Antragsdelikten oder in Fällen, bei denen eine Strafbefreiung wegen Wiedergutmachung nach Art. 53 StGB in Frage kommt, die geschädigte und die beschuldigte Person zu einer Verhandlung einladen mit dem Ziel, einen Vergleich bzw. eine Wiedergutmachung zu erzielen (Art. 316 StPO).
- Sie kann die Untersuchung eröffnen (Art. 309 StPO).
Die Untersuchung wird von einer Staatsanwältin oder von einem Staatsanwalt geleitet. Kommt als Strafe Busse, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von höchstens sechs Monaten in Frage, kann die Untersuchung durch eine Sachbearbeiterin oder einen Sachbearbeiter mit staatsanwaltlichen Befugnissen (SmsB) geleitet werden.
Durch Einvernahmen und andere Beweiserhebungen, sowie durch den Einsatz von Zwangsmassnahmen wie Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen, Bankabklärungen wird der Sachverhalt tatsächlich und rechtlich soweit geklärt, dass die Staatsanwaltschaft das Vorverfahren abschliessen kann. Nach Abschluss des Vorverfahrens stehen der Staatsanwaltschaft folgende Möglichkeiten offen:
- Die Staatsanwaltschaft schliesst das Verfahren durch Strafbefehl ab, wenn sie eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, eine Geldstrafe oder eine Busse für ausreichend hält (Art. 352 StPO). Beim Strafbefehl handelt es sich um einen Urteilsvorschlag, der rechtskräftig und damit zu einem Urteil wird, wenn die beschuldigte Person oder weitere Betroffene nicht innert 10 Tagen schriftlich Einsprache erheben (Art. 354 StPO). Im Fall von Einsprachen kann die Staatsanwaltschaft am Strafbefehl festhalten. Diesfalls überweist sie die Akten unverzüglich dem erstinstanzlichen Gericht zur Durchführung des Hauptverfahrens (Gerichtsverfahren; Art 356 StPO). Die Staatsanwaltschaft kann aber auch nach Abnahme von weiteren Beweisen das Verfahren einstellen, einen neuen Strafbefehl erlassen oder Anklage beim erstinstanzlichen Gericht erheben.
- Die Staatsanwaltschaft kann auf Antrag der beschuldigten Person das abgekürzte Verfahren anordnen (Art. 358 ff. StPO). Dies, wo die beschuldigte Person den für die rechtliche Würdigung wesentlichen Sachverhalt eingesteht und die Zivilansprüche zumindest im Grundsatz anerkennt. Das abgekürzte Verfahren ist ausgeschlossen, wenn die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verlangt.
- Die Staatsanwaltschaft verfügt die Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt, kein Straftatbestand erfüllt ist, Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen, Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden können oder Prozesshindernisse aufgetreten sind und wenn nach gesetzlicher Vorschrift auf Strafverfolgung oder Bestrafung verzichtet werden kann (Art. 319 StPO).
- Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage beim zuständigen Gericht, wenn sie aufgrund der Untersuchung die Verdachtsgründe als hinreichend erachtet und keinen Strafbefehl erlassen kann (Art. 324 StPO). In diesem Fall entscheidet das Gericht.
Der Einzelrichter/die Einzelrichterin entscheidet über Einsprachen gegen Strafbefehle und beurteilt strafbare Handlungen, wenn nicht eine Freiheitsstrafe von mehr als zwölf Monaten oder eine freiheitsentziehende Massnahme in Betracht kommt. In den übrigen Fällen entscheidet das Kreisgericht in einer Besetzung von (i.d.R.) drei Richtern.
Es findet in der Regel eine mündliche Verhandlung statt, die öffentlich ist. Die Staatsanwaltschaft vertritt die Anklage, wenn sie eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder eine freiheitsentziehende Massnahme beantragt. Die beschuldigte Person kann immer eine Verteidigung beiziehen.
In Strafsachen kann die beschuldigte Person in der Regel gegen jeden Entscheid ein Rechtsmittel ergreifen; der Entscheid enthält am Schluss jeweils eine Belehrung darüber, wo und in welcher Form und Frist das Rechtsmittel eingelegt werden muss.
Zusammen mit dem Strafbefehl oder unmittelbar nach Rechtskraft des Gerichtsurteils wird der beschuldigten Person eine Rechnung für die gesamte Forderung aus dem Strafverfahren zugestellt. Diese enthält (je nach Entscheid) die Geldstrafe, die Busse, die Verfahrenskosten sowie die Gebühren. Die Zahlungsfrist beträgt 30 Tage. Bei hohen Beträgen können Teilzahlungen vereinbart werden.
Soweit der Verurteilte die Geldstrafe oder Busse nicht bezahlt und sie auf dem Betreibungsweg nicht einbringlich ist, tritt an die Stelle der Geldstrafe oder Busse eine Ersatzfreiheitsstrafe. Ein Tagessatz entspricht einem Tag Freiheitsstrafe.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Geldstrafe oder Busse in Form von gemeinnütziger Arbeit vollzogen werden. Die Verfahrenskosten und Gebühren aus dem Strafverfahren sind jedoch in jedem Fall zu bezahlen.