Die Strategie öffentlicher Verkehr konkretisiert die Vorgaben aus der Gesamtverkehrsstrategie (GVS). Der Kantonsrat hat die Teilstrategie im Rahmen der Beratung des 6. öV-Programms (2019 bis 2023) am 18. September 2018 verabschiedet.
Als Grundlage für die Teilstrategie öffentlicher Verkehr Kanton St.Gallen dienen die Gesamtverkehrsstrategie (GVS) des Kantons St.Gallen sowie die Schwerpunktplanung der Regierung. Die Teilstrategie legt Leitlinien bezüglich der künftigen kantonalen Politik des öffentlichen Verkehrs fest und konkretisiert strategische Vorgaben und Ziele aus der GVS im Bereich des öffentlichen Verkehrs. Dabei orientiert sie sich an den vier Oberzielen der GVS. Sie ersetzt den kantonalen Strategieplan öffentlicher Verkehr aus dem Jahr 2002.
Die vier Oberziele der öV-Strategie
Wie in der Gesamtverkehrsstrategie stehen auch in der Strategie öffentlicher Verkehr einzelne Ziele zueinander im Widerspruch. Nicht alle Anforderungen können im Einzelfall gleich gut erfüllt werden. Die Abwägung zwischen den einzelnen Kriterien erfolgt dann projekt- und objektbezogen.
Die Ziele aus der Gesamtverkehrsstrategie, der Schwerpunktplanung der Regierung sowie aus Aufträgen des Kantonsrates werden in der Strategie öffentlicher Verkehr wie folgt konkretisiert:
Sicherstellung der inner- und ausserkantonalen Erreichbarkeit
- Die Erreichbarkeit der urbanen Verdichtungsräume ist sichergestellt, wenn der öV in der Spitzenstunde in den Haupt- und Regionalzentren genügend Sitz- und Stehplätze anbietet und keine Verlustzeiten erleidet.
- Die Erreichbarkeit nach aussen, insbesondere in Richtung Zürich und München, wird verbessert. Die Fahrzeit auf der Schiene von St.Gallen nach Zürich beträgt weniger als eine Stunde (Bedingung für Vollknoten) und die Fahrzeit nach München weniger als zweieinhalb Stunden. Bei der Weiterentwicklung stehen Kapazitätserhöhungen und Stabilitätsverbesserungen im Vordergrund und nicht die maximale Beschleunigung von Verbindungen.
- Der Vollknoten St.Gallen (gemäss Botschaft FABI und Langfristperspektive Bahn) wird aufgebaut.
- Die Pünktlichkeit und die Anschlusssicherheit werden gesteigert.
- Im innerschweizerischen Fernverkehr wird ganztägig mindestens der Halbstundentakt angeboten.
- Die S-Bahn St.Gallen bildet das öV-Rückgrat zwischen den Zentren und den urbanen Verdichtungsräumen.
Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs sowie der Belastung von Bevölkerung und Umwelt
- Die Energieeffizienz des öffentlichen Verkehrs wird erhöht.
- Die Umweltbelastung des öffentlichen Verkehrs je Personenkilometer wird reduziert.
Berücksichtigung der Sicherheit und Bedürfnisse von allen Verkehrsteilnehmenden
- Der Anteil Bevölkerung mit Zugang zum öffentlichen Verkehr wird durch eine koordinierte Entwicklung von Siedlung und Verkehr erhöht.
- Der Zugang zu den Haltestellen wird für den Fuss- und Veloverkehr verbessert.
- Im Rahmen der Verhältnismässigkeit und unter Berücksichtigung des Behindertengleichstellungsgesetzes wird der Zugang zum öffentlichen Verkehr für schwächere Verkehrsteilnehmer verbessert.
- Die Sauberkeit, Sicherheit und Kundenzufriedenheit werden gesteigert.
- Der Zugang zu Fahrausweisen des öffentlichen Verkehrs und die zu Grunde liegenden Tarife werden vereinfacht.
- Moderate Preiserhöhungen bei Angebotsausbauten und zur Erhöhung des Kostendeckungsgrades sollen bei Bedarf umgesetzt werden.
Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des staatlichen Mitteleinsatzes und Sicherstellung der Finanzierbarkeit des Verkehrs
- Der Kostendeckungsgrad des Gesamtsystems wird laufend erhöht.
- Der gesamtwirtschaftliche Nutzen des kantonalen Finanzmitteleinsatzes wird erhöht.
- Der Mitteleinsatz erfolgt effizient und effektiv.
- Die langfristige Finanzierung wird sichergestellt.
- Kennzahlen zum öffentlichen Verkehr im Kanton werden transparent dargestellt.
Zur Erreichung der oben genannten Ziele werden folgende Stossrichtungen verfolgt und Massnahmen umgesetzt:
Verkehrsangebot
Das Angebot des öffentlichen Verkehrs richtet sich nach den Angebotsstandards, vorbehältlich der gesetzlichen Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit/Nachfrage. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs wird mit der angestrebten räumlichen Entwicklung abgestimmt. Es wird auf eine auf den öV ausgerichtete Siedlungsentwicklung hingewirkt.
Die Entwicklung der Angebote erfolgt in Koordination mit den Bahnausbauprojekten des Bundes sowie in enger Abstimmung mit den Nachbarkantonen, den Regionen, den Gemeinden, den Transportunternehmen, den kantonalen Ämtern und weiteren Beteiligten. Der motorisierte Individualverkehr, der Fuss- und Veloverkehr und der öffentliche Verkehr ergänzen sich dabei sinnvoll. Die einzelnen Verkehrsträger und Verkehrsarten sind aufeinander abgestimmt und bilden attraktive Reiseketten.
Die Entwicklung auf nachfragestarken und kapazitätskritischen Achsen wird mittels Monitoring überwacht, um frühzeitig intervenieren zu können.
Verkehrsinfrastruktur
Um für die strassengebundenen öffentlichen Verkehrsmittel ein möglichst hindernisfreies Verkehren und die Zuverlässigkeit zu garantieren, werden Verbesserungen wie Eigentrassierung oder öV-Priorisierung eingefordert. Neue Linienführungen oder gänzlich neue Konzepte werden mit der Weiterentwicklung der Strasseninfrastruktur koordiniert.
Hindernisfreier öffentlicher Verkehr
Die Strasseneigentümer sind verpflichtet, bis Ende 2023, das eidgenössische Behindertengleichstellungsgesetz (SR 151.3; abgekürzt BehiG) umzusetzen. Das Amt für öffentlichen Verkehr analysiert zurzeit alle Bushaltestellen im Kanton St.Gallen. Anhand von Kriterien wie der Zentrumsfunktion und Bedeutung, den Passagierfrequenzen und den Reisezielen von mobilitätseingeschränkten Personen werden die Haltestellen priorisiert. Daraus erarbeitet das Amt für öffentlichen Verkehr für die Strasseneigentümer einen Leitfaden mit baulichen Vorgaben für eine einheitliche Umsetzung. Dem kantonalen Tiefbauamt und den Gemeinden wird dadurch eine wichtige Grundlage für die Projektierung von Haltestellen zur Verfügung gestellt.
Qualitätssteuerung
Der Tarifverbund Ostwind (OTV) misst alle vier Jahre die Kundenzufriedenheit mit Fragebogenerhebungen. Die letzte Erhebung fand im Jahr 2018 statt. Die Ergebnisse wurden den betroffenen Bestellern und den Transportunternehmen zur Verfügung gestellt.
Neben den Kundenzufriedenheitsumfragen hat der Bund für den regionalen Personenverkehr inzwischen ein schweizweites Qualitätsmesssystem (QMS RPV CH) eingeführt. In einem nächsten Schritt soll auch der Ortsverkehr damit beurteilt werden. Nebst automatisiert übermittelten Pünktlichkeitsdaten werden von Testkunden verschiedene Qualitätsmerkmale in den Fahrzeugen und an Haltestellen nach objektiven Massstäben gemessen.
Fahrgastinformation
Die Fahrgastinformation trägt entscheidend zur Kundenzufriedenheit bei. Neue technologische Entwicklungen werden genutzt, um die Kundeninformation im Regelbetrieb und im Ereignisfall zu verbessern. Bei der technologischen Weiterentwicklung werden die Vorgaben des BehiG berücksichtigt. Informationen zum öffentlichen Verkehrsangebot sollen schnell, einfach und möglichst jederzeit zur Verfügung stehen.
Vertrieb und Tarife
Der Zugang zum öffentlichen Verkehr wird vereinfacht, indem die Digitalisierung des Vertriebs konsequent weitergeführt wird und einfache, einheitliche und übergreifende Tarifstrukturen geschaffen werden. Eine bediente Marktpräsenz, die sich an den Bedürfnissen der Fahrgäste und an den technischen Möglichkeiten orientiert, stellt unter Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Aspekte die Grundversorgung sicher. Die Interessen des Kantons St.Gallen werden mit der Mitarbeit in nationalen Projekten vertreten.
Ökologie
Unter Berücksichtigung eines angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnisses wird die Beschaffung von umweltfreundlichen und energieeffizienten Fahrzeugen gefördert. Angebote werden bedarfsgerecht dimensioniert. Der Energieverbrauch und der Schadstoffausstoss je Personenkilometer werden gesenkt.
Wirtschaftlichkeit
Die Effizienz der Verkehrsunternehmen wird verbessert. Bei Nichterfüllung von Vorgaben oder unbefriedigendem Preis-Leistungs-Verhältnis wird das Mittel der Zielvereinbarung oder der Ausschreibung eingesetzt. In Zusammenarbeit mit anderen Kantonen wird ein Benchmark-System betrieben. Der Kanton prüft Kostenreduktionspotenziale im öV durch Angebotsveränderungen oder -abbauten.
Das Verkehrsangebot und die Infrastruktur werden nur dort weiter ausgebaut, wo die Nachfrage oder das Potential genügend gross sind und die im kantonalen Gesetz definierten Zielvorgaben betreffend Kostendeckungsgrad und Einsteiger je Kilometer erreicht werden. Die Bestellung von Leistungen des Regionalverkehrs erfolgt aufgrund von klaren aber differenzierten Standards. Die Finanzierung von Investitionen und der Folgekosten sind mit dem Investitionsentscheid zu sichern.
Ein Standbericht zum öffentlichen Verkehr gibt jährlich Auskunft über die aktuelle öV-Situation im Kanton. Speziell eingegangen wird auf die Kosten, die Abgeltungen, die Erreichung der kantonalen Mindest- und Zielvorgaben sowie das Fahrgastaufkommen in Bahnhöfen und auf Strecken.
Für Fahrleistungen wird eine sozial- und umweltverträgliche Wettbewerbsordnung verfolgt.
Die breit abgestützte Finanzierung durch Bund, Kantone und Gemeinden wird erhalten.