Die Verantwortlichkeit hinsichtlich Schutzes der Gesundheit namentlich vor HIV- und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI-Infektionen) liegt nicht alleine bei den Professionellen im Sexgewerbe, sondern muss auch seitens der Freier und Freierinnen wahrgenommen werden.
Die Kunden und Kundinnen von Sexarbeitenden gelten als das «scheue Reh», sozialwissenschaftlich betrachtet als «hard to get» im Rahmen der STI-Prävention. Dies vor allem aus dem Grund, dass die Sexarbeit als Ganzes und die in diesem Gebiet handelnden Personen einer weitreichenden und langlebigen Stigmatisierung ausgesetzt sind, die sich gegenseitig laufend bestätigt und verstärkt. Insofern ist der «klassische» Kunde einer Sexarbeiterin stets bestrebt, unsichtbar zu sein, unsichtbar zu bleiben und keinen Anlass zu geben, ausserhalb des Metiers «enttarnt» zu werden. Aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung und möglichen schwerwiegenden Nachteilen für sein soziales, familiäres oder berufliches Leben sind die Strategien dieser Zielgruppe darauf angelegt, möglichst anonym und ohne Konfrontation durch Dritte zu bleiben. Die seit wenigen Jahren zu beobachtende, gesamtgesellschaftlich grundsätzlich begrüssenswerte Dynamik im Rahmen der «Me too»-Debatte, welche die Frage nach gewaltfreier Sexualität auf Augenhöhe und im Konsens lautstark aufgerufen hat, birgt in der Präventionsarbeit mit Freiern und Freierinnen nicht nur Vorteile. Im Zusammenwirken mit ebenfalls laut- und meinungsstarken Wortmeldungen und Initiativen von Abolitionistinnen, die die Sexarbeit auch in der Schweiz zu kriminalisieren suchen, werden vorhandene Stigmatisierungen und besonders das subjektive Erleben der Betreffenden eher verstärkt, was den Zugang zu der Zielgruppe weiterhin erschwert.
Wie kann man das «scheue Reh» trotzdem erreichen?
Beratungsstellen im Sexgewerbe ist die Ausrichtung ihrer Bemühungen auf die Anbieterseite im Sexgewerbe, das heisst vor allem auf Sexarbeiter*innen, gemein. Der Kanton St.Gallen bot mit dem Projekt Priapos in den letzten knapp drei Jahren als einziger Kanton ein nennenswertes Beratungsangebot für die spezifische Risikogruppe von Freier und Freierinnen an.
Durch sozialarbeiterische Aufsuche in Bars und öffentlich zugängigen Etablissements wurden Gesprächsmöglichkeiten mit Freiern gesucht und diese präventionsspezifisch angesprochen. Digitale Aufsuche in Sexforen, wo ein Austausch von Freiern stattfindet, ergänzte den persönlichen Kontakt. Zusätzlich wurden mit Öffentlichkeitsarbeit, Artikeln und Posts auf Social Media Freier*innen spezifisch angesprochen und Präventionsbotschaften platziert.
Leider musste das Projekt den sich phasenweise immer wieder verändernden, pandemiebedingten Lagen anpassen, zu denen unter anderem das Vermeiden «körpernaher Dienstleistungen» und die Schliessung von Sexclubs, Kontaktbars etc., die Anordnung von Arbeit im «Homeoffice» und die zeitweise Unterbrechung der Aufsuche gehörten. Das Projekt musste zeitlich und inhaltlich flexibel gestaltet werden, auch, weil die Rückkehr der Freier und Freierinnen in die Sexclubs und Bars nach der Hochphase der pandemiebedingten Einschränkungen nur schleppend voranschritt. Das Aufkommen an Freiern und Freierinnen in den Lokalen hat sich kaum oder nur teilweise erholt; mittlerweile erscheint eine Rückkehr auf das präpandemische Niveau unwahrscheinlich, sodass von einer die Sexarbeit dauerhaft veränderten Verwerfung ausgegangen werden kann. Das Gewerbe verschiebt sich zusehend in Salons (Wohnungen), wo ausschliesslich Termingeschäfte stattfinden und die Aufsuche von Freiern nicht möglich ist.
Klar hat sich gezeigt, dass die Absicht, nicht nur die Sexarbeiter*innen, sondern auch die Dienstleistungsempfänger bezüglich gesundheitlicher Prävention anzugehen, richtig ist und auch von vielen Betreiber*innen und Sexarbeiter*innen geschätzt und unterstützt wird. Auch nach Abschluss des Projektes bleibt Maria Magdalena aktiv, bietet spezifische Beratung an, geht auf Freier zu und platziert weiterhin Präventionsbotschaften.
Auch das «scheue Reh» soll sich schützen!
Beste Grüsse
Team Maria Magdalena