Die Arbeit mit Freier*innen in der STI-Prävention fristet ein Nischendasein in der Schweiz. Nur eine knappe Handvoll von Fachstellen – unter anderem insbesondere in den Kantonen Bern, Basel-Stadt und seit 2019 St. Gallen – widmen sich aktuell, meist neben prioritären Hauptaufgaben, der Prävention sexuell übertragbarer Infektionen in der Arbeit mit den Kund*innen von Anbieter*innen sexueller Dienstleistungen. Dabei stehen die zuständigen Fachpersonen gesellschafts- und "branchen"typischen Herausforderungen gegenüber, die eine zeitgemässe Anpassung der Präventionsstrategien nötig machen. Welchen Hürden und Entwicklungen stehen diese Fachpersonen seit geraumer Zeit gegenüber und welche Lösungen für die sich stellenden Problemlagen wurden im Rahmen des kantonalen Angebots umgesetzt?
Die schweizweite Zurückhaltung im Bereich der Freier*innenarbeit erscheint einerseits verwunderlich, hat doch das Geschäft mit dem bezahlten Sex – wie auch der Sex ohne den Austausch von Geld zwischen einem Paar – immer zwei Seiten in Form mindestens zweier beteiligter Menschen zum Gegenstand. Insofern sind stets auch mindestens zwei Menschen aufgerufen, sich um die eigene Gesundheit und deren Erhaltung zu kümmern, wenn es zum Sex kommt. Der Aspekt der Gesunderhaltung wiegt umso schwerer bei Betrachtung der damit im Zusammenhang stehenden Arbeitssicherheit der grösstenteils weiblichen Anbieter*innen, die die verletzlichere Position innehaben. Der Schutz der Betreffenden vor sexuell übertragbaren Infektionen beim Nachgehen der Sexarbeit kann auch aus der arbeitsschutzrechtlichen Perspektive betrachtet werden, aus der die Freier*innenarbeit als eine logische, zielgruppenspezifische Präventionsmassnahme gelten muss.
Andererseits wurden und werden im Bereich der STI-Prävention stets Argumente von Effizienz und deren Belegbarkeit ins Feld geführt, wenn es darum geht, neue Präventionsansätze und Strategien einzuführen und zu etablieren. Das gilt auch für die Freier*innenarbeit, die in den Augen von Kritiker:innen eher schlecht abschneidet, da diese das "scheue Reh" der Freier*innen als nur schwer erfolgreich zu adressieren erachten – im Gegensatz zur Zielgruppe der Sexarbeiter*innen. Nach mittlerweile knapp zweieinhalb Jahren Erfahrungen mit der Freier*innenarbeit im Rahmen des Projekts Priapos – benannt nach dem gleichnamigen, dauererregten griechischen Gott – im Kanton SG werden hier einzelne zentrale Aspekte – die Notwendigkeit von Sichtbarkeit und Akzeptanz der Sexarbeit im Ganzen – und vor allem die der praktischen Projektarbeit vorgestellt.
Wenn die analoge Aufsuche grösstenteils zur Suche wird…
Freier*innen sind im (Arbeits-)Alltag in der Tat zumeist das, was oben als das "scheue Reh" umschrieben wird. Sie sind im Alltag der meisten Menschen kaum sicht- oder greifbar, kommen in der öffentlichen Diskussion nicht oder nur selten vor und wenn, dann in der Regel dabei nicht gut weg, ganz sicher wenn männlichen Geschlechts. Sie werden stigmatisiert als Träger toxischer Männlichkeit, zu feige, ihre Bedürfnisse in ihren Beziehungen zu erkennen und richtig und transparent zu vertreten, unfähig, ihre Sexualität zu kontrollieren, darauf aus, frauenfeindlich und rücksichtslos ihre eigenen sexuellen Vorstellungen auch gegen Widerstand dominant durchzusetzen oder aber schlicht zu alt oder zu unattraktiv seiend, um auf dem freien Partner*innenmarkt überhaupt noch zum Zuge zu kommen. So oder so ähnlich lauten oft die jeweiligen Zuschreibungen und Vorurteile, die männlichen Kunden von Sexarbeiter*innen anhaften. Und so schlicht und falsch diese Stereotypen auch sind, so ungut wirken sie sich auf die aufsuchende Freier*innenarbeit vor Ort aus. Sie sorgen dafür, Männer vieles dafür tun, um nicht als Kunden von Sexarbeiter*innen erkannt bzw. enttarnt zu werden. Sie wählen oft Tage und Uhrzeiten, an denen eher wenige Menschen unterwegs sind, bevorzugen Lokale in abgelegenen Gegenden und Zonen und versuchen möglichst rasch und unauffällig, ohne Verweildauer oder Verzögerungen, die Betriebe zu betreten und wieder zu verlassen. Dies beinhaltet auch das Ausweichen auf Angebote, die einer klassischen Aufsuche nicht zugänglich sind, wie diskrete Einzelwohnungen, in denen Sexarbeiter*innen nur mit Termin besucht werden können. Bei einer Zielgruppe, die mit diesen Verhaltensweisen in nachvollziehbarer Weise versucht, drohende Ablehnung, Ausgrenzung und Ächtung im privaten und beruflichen Umfeld zu vermeiden, wird die sogenannte Aufsuche in der realen Welt so schnell nur noch zur Suche – und das im Wortsinne, insbesondere spätestens seit dem Jahr 2020. Seit dem Beginn der Coronapandemie Ende 2019 waren Freier*innen in den Lokalen – wenn sie denn geöffnet hatten – immer seltener anzutreffen.
…sorgt die digitale Aufsuche für ein Wiederfinden
Dieser Entwicklung Rechnung tragend, ist Priapos seit Anfang des Jahres auch im digitalen Raum, also auf Sex-Foren mit Bezug zum Kanton SG, unterwegs. Diese Form der "virtuellen" Aufsuche macht es möglich, Freier*innen zuverlässig und unabhängig von Tag, Uhrzeit und Kund*innenaufkommen mit zielgruppenorientierten Präventionsbotschaften zu begegnen. Wesentlich für die digitale Aufsuche ist, dass diese zu einem Grossteil aus dem Monitoring der Kommunikation auf den einschlägigen Foren besteht. Hier geht es darum, ein laufendes Bild von den Inhalten und den Strukturen der Kommunikation in den Foren zu erhalten und so präventionsrelevante "Trends" und Tendenzen zu erkennen.
Eine Intervention durch ein eigenes Posting wird nur dann vorgenommen, wenn es dem Präventionsziel und –zweck dienlich ist oder aber, wenn eine solche unumgänglich wird. Als unumgänglich wird eine solche Intervention dann erachtet, wenn strafrechtlich relevante Aspekte in den Foren ausgetauscht werden, namentlich unter anderem – sexualisierte – Gewalt oder Zwang gegenüber Sexarbeiter*innen, Prellen des vereinbarten Dienstleistungsentgelts oder bei diskutiertem Verdacht auf Zwangsprostitution und Menschenhandel. Für die Freier*innenarbeit sind insbesondere letztere Punkte von Bedeutung, da die Herstellung und der Erhalt sicherer und fairer Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter*innen wesentlich vom Verhalten und den Persönlichkeitseigenschaften derer Kund*innen abhängen. Freier*innenarbeit, digital und analog, ist daher nicht nur Ansteckungsprävention mit der diskussionswürdigen Zieldefinition einer möglichst hohen Effizienz, sondern auch immer Arbeit für die (Arbeits-)Sicherheit der Dienstleister*innen innerhalb des Gewerbes.
Nur ein sichtbares Gewerbe ist ein sicheres Gewerbe
Die mithin bekannten Folgen der Coronapandemie auf die Sexarbeit – faktisches Arbeitsverbot in der Sexarbeit, Rückgang von Nachfrage und Angebot, darauffolgender Preiszerfall und existenzielle Notlagen von Sexarbeiter*innen, Neueinstieg von Personen in das Sexgewerbe, z.T. innerhalb unsicherer Rahmenbedingungen – haben exemplarisch aufgezeigt, welche existenziell und gesundheitlich bedrohlichen Folgen ein Sexkaufverbot auf die betroffenen Anbieter*innen sexueller Dienstleistungen hätte. Auch und gerade in der Schweiz, falls ein solches hier eingeführt werden sollte. Konkret hätte dies ein tatsächliches Abdrängen der Sexarbeit und der sich darin bewegenden Personen in eine gesellschaftliche Dunkelkammer zur Folge, in der eigene – meist hochproblematische – Regeln gelten, Unsicherheit, Stress, Druck und Zwang vorherrschen und kaum unterstützender Zugang oder sichernder Einblick von aussen möglich ist. Unter solchen Bedingungen entwickeln sich schnell sich verfestigende Muster und Strukturen im Gewerbe, die dem Präventionsgedanken in Gänze entgegenlaufen und die Sexarbeiter*innen deutlich vulnerabler für Missbrauch jeglicher Form machen.
Zentral ist in diesem Hinblick in jedem Fall also die Sichtbarkeit des Gewerbes und der handelnden Menschen in diesem. Unabhängig davon ob Anbieter*in oder Kund*in, in der STI- und Missbrauchsprävention im Sexgewerbe ist deren Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung von grösster Bedeutung. Auch ausserhalb von Pandemiezeiten. Eine möglichst unverstellte Wahrnehmung und Akzeptanz der individuellen Lebensentwürfe der handelnden Personen verbessert die positive Einflussnahme auf die Gesundheit der Menschen im Gewerbe. In diesem Sinne ist es also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, eine echte Akzeptanz der Sexarbeit herzustellen, was die Existenz von Freier*innen, deren Nachfrage sowie deren individuelle Bedürfnisse zwingend einschliesst. Denn klar ist: Ein*e Freier*in, die*der sich nicht schämen muss für die Inanspruchnahme einer sexuellen Dienstleistung, da keine gesellschaftliche Verurteilung droht, ist für die erwähnten zentralen Präventionsbotschaften zugänglicher – und auch in der realen Welt deutlich besser anzutreffen.
Eine sinnvolle, zielführende und sich am Puls der Zeit befindende Freier*innenarbeit im Jahr 2022 hat daher mehr zu bieten als das schlichte "Tingeln" durch die Etablissements. Sie hat gesamtgesellschaftlich zu sensibilisieren, um Verständnis für andere Lebensentwürfe zu werben und schlussendlich die Akzeptanz von Sexarbeiter*innen, deren Tätigkeit und auch deren Kund*innen zu fördern. Denn: Sichtbarkeit und Akzeptanz sind die besten Verbündeten im Kampf gegen Missbrauch, Gewalt und die Weiterverbreitung von STI.