Das Kantonsgericht St.Gallen hat am 17. Juli 2024 ein aus Bosnien und Herzegowina stammendes Ehepaar vollumfänglich freigesprochen. Aufgrund der konkreten Umstände waren die rechtlichen Voraussetzungen für Schuldsprüche in den verschiedenen Ankla-gepunkten nicht gegeben.
Das beschuldigte Ehepaar lebte mit seinen fünf Kindern jahrelang von Sozialhilfe. In der Gemeinde St. Margrethen hatte es unter anderem von Herbst 2012 bis Dezember 2016 Sozialhilfeleistungen bezogen. Die Staatsanwaltschaft warf dem Ehepaar vor, dass es finanzielle Zuwendungen von Verwandten und Dritten dem Sozialamt nicht gemeldet und dadurch zu hohe Leistungen bezogen habe. Ausserdem habe es seine Fürsorge- und Erziehungspflicht verletzt, weil die Tochter dem obligatorischen Schullager sowie dem Sportunterricht ferngeblieben sei und sie sowie der Sohn nicht am obligatorischen Schwimmunterricht teilgenommen hätten.
Das Kreisgericht Rheintal sprach beide Beschuldigten mit Entscheid vom 2. September 2021 von der Anklage des Betrugs frei. Hingegen erklärte es sie des mehrfachen unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe sowie der mehrfachen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht schuldig. Das Kreisgericht verurteilte den Ehemann zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten, die Ehefrau zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Ausserdem sprach es gegen beide Ehegatten eine Landesverweisung von fünf Jahren aus.
Gegen diesen Entscheid erhoben beide Beschuldigten Berufung. Die Staatsanwaltschaft verlangte in beiden Fällen mit Anschlussberufung insbesondere eine Verurteilung wegen Betrugs.
Die Strafkammer des Kantonsgerichts hat nun beide Beschuldigten vollumfänglich freigesprochen. Eine Verurteilung wegen Betrugs (Art. 146 StGB) war ausgeschlossen, da es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht genügt, wenn die Bezüger von Sozialversicherungsleistungen es wie vorliegend lediglich unterlassen, veränderte Verhältnisse zu melden, den Leistungserbringer jedoch nicht aktiv täuschen. Für den alternativ anwendbaren Tatbestand des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe (Art. 148a StGB) genügt zwar ein blosses Verschweigen relevanter Tatsachen. Diese Strafbestimmung ist aber erst seit dem 1. Oktober 2016 in Kraft. Die Beschuldigten haben ab diesem Datum noch Zuwendungen Dritter von etwas weniger als 5'000 Franken erhalten. Diese Zuwendungen waren zweckgebunden, um Bussen und Geldstrafen der Beschuldigten zu bezahlen, damit sie keine Ersatzfreiheitsstrafen antreten mussten. Die Zuwendungen wurden zweckkonform verwendet und nicht zur Finanzierung höherer allgemeiner Lebenskosten. Sie hätten deshalb nicht zu einer Reduktion der Sozialhilfeleistungen geführt. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, läge aufgrund der konkreten Umstände und des Betrags ein leichter Fall und damit ein Übertretungstatbestand vor, der bereits vor dem Entscheid des Kreisgerichts verjährt gewesen wäre.
Mit Bezug auf die Nichtteilnahme der Tochter bzw. des Sohnes am Schullager sowie Sport- und Schwimmunterricht lägen mindestens teilweise Widerhandlungen gegen das Volksschulgesetz vor. Diese Übertretungen waren jedoch ebenfalls bereits vor dem Entscheid des Kreisgerichts verjährt gewesen. Eine Verurteilung wegen des Tatbestandes der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (Art. 219 StGB) war ausgeschlossen. Sie hätte eine konkrete Gefährdung der Kinder verlangt, d.h. nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hätten dauerhafte physische oder psychische Schäden wahrscheinlich sein müssen. Diese Voraussetzung war angesichts der nur kurzzeitigen Abwesenheiten von schulischen Veranstaltungen nicht gegeben.
Die beiden Beschuldigten waren deshalb in allen Anklagepunkten freizusprechen. Damit ist nicht nur eine Bestrafung, sondern auch eine strafrechtliche Landesverweisung ausgeschlossen. Es wird Aufgabe der Migrationsbehörden sein, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Verbleib des zwischenzeitlich nicht mehr von der Sozialhilfe lebenden, erwerbstätigen Ehepaars mit seinen heute fünf Kindern in der Schweiz gegeben sind.
Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig. Die ausführliche Begründung erfolgt in einem späteren Zeitpunkt. Weitere Auskünfte werden derzeit nicht erteilt.