Es war ein «Freitag der Dreizehnte», wie aus dem Bilderbuch: am 13. März 2020 um 15.30 Uhr informierte der Bundesrat über weitreichende Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Was bis zu jenem Tag fast undenkbar war, trat ein: Der Bundesrat griff gestützt auf die zuvor ausgerufene «ausserordentliche Lage» drastisch in die kantonale Bildungshoheit ein und schloss ab dem 16. März 2020 sämtliche Schulen – vom Kindergarten bis zu den Hochschulen. Seither hält Corona die Gesellschaft und mit ihr die Bildungswelt auf Trab. Entscheide mit zum Teil weitreichenden Folgen jagen sich. Es ist deshalb an der Zeit, kurz innezuhalten und auf ein verrücktes Jahr zurückzuschauen.
Schule geschlossen – und dann?
Der Entscheid des Bundesrates überraschte uns alle. Er erfolgte äusserst kurzfristig, ohne Vorlauf für die Schulwelt und ohne vorgängige Konsultation der nach Bundesverfassung für die Bildung zuständigen Kantone. Die eindringlichen Worte der Bundespräsidentin, dass «ein Ruck durch die Gesellschaft gehen müsse», entfalteten sich in der Bildungswelt mit voller Wucht: Innert kürzester Zeit musste auf allen Stufen auf Fernunterricht umgestellt werden. Was ab der Sekundarstufe II verhältnismässig einfach war, stellte die Volksschule angesichts von Alter und Lernstand der Schülerinnen und Schüler, aber auch der unterschiedlichen Voraussetzungen bei der technischen Infrastruktur vor grosse Herausforderungen. In der Volksschule mussten Eltern und Schule zudem die Betreuung der Kinder sicherstellen, was in einer ohnehin schon hektischen Zeit eine nicht zu unterschätzende Zusatzbelastung darstellte.
Aufgabe des Bildungsdepartements war es in jenen Tagen, sämtliche Beteiligte zeitnah mit den massgeblichen Informationen zu bedienen und die nötigen Rechtsgrundlagen zur Umsetzung der bundesrätlichen Massnahmen vorzubereiten, vor allem aber auch Druck aus dem System zu nehmen, soweit dies möglich war. Entsprechend wurde kommuniziert, dass bis zu den Frühlingsferien mit dem Fernunterricht bereits Erlerntes gefestigt, nicht aber neue Lerninhalte vermittelt werden sollen. Dass in der Woche vom 16. März 2020 der «Fernunterricht» auf allen Schulstufen umgesetzt werden konnte, ist der grossen Flexibilität und dem Pragmatismus von Schulverantwortlichen, Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler sowie der Erziehungsberechtigten zu verdanken. Diese Eigenschaften prägen den Umgang der Bildungseinrichtungen mit immer wieder neuen Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus bis heute und machen es möglich, dass der Anspruch der Kinder und Jugendlichen auf Bildung auch unter schwierigen Bedingungen erfüllt werden kann.
Rechtsetzung ohne Netz und doppelten Boden
Aus Sicht einer Juristin hat die Coronakrise einen gewissen Reiz: Seit dem 2. Weltkrieg musste in der Schweiz vom Instrument «Notrecht» kaum je Gebrauch gemacht werden. Solches kann dann erlassen werden, wenn «unaufschiebbarer Regelungsbedarf» besteht, insbesondere zum Schutz sogenannter Polizeigüter, und deshalb die ordentlichen Prozesse nicht eingehalten werden können. Ab dem 13. März 2020 kam es zur Bewältigung der Coronakrise nicht nur auf Bundesebene, sondern auch im Kanton in hohem Takt zu Notrechtserlassen. So hat die Regierung z.B. bereits am 14. März 2020 – nicht einmal 24 Stunden nach der Kommunikation des Bundesratsentscheids – eine Verordnung erlassen, welche das Betreuungsangebot in der Volksschule während des ersten Lockdowns regelte.
Markenzeichen von Notrecht ist, dass es häufig auf einer dürftigen Informationslage und weitestgehend ohne die üblichen Rechtsetzungsschritte, also z.B. ohne Vernehmlassung zum Entwurf, erlassen werden muss. Insofern erfolgt Notrechtsetzung ohne Netz und doppelten Boden. Im Kanton St.Gallen wurde für die Volksschule zur Abfederung dieser Notrechts-Spezialitäten schon früh eine COVID-19-Task-Force einberufen, in der in Aussicht genommene Massnahmen mit Vertretungen der Schulwelt diskutiert wurden. Auch wenn die kantonalen Massnahmen einigen zu wenig weit und anderen zu weit gehen, konnte damit eine insgesamt hohe Akzeptanz der Massnahmen erreicht werden.
Nach einem Jahr fast ununterbrochenem Not-Modus ist aber zugegebenermassen auch meine Freude am Mitschreiben von Rechtsgeschichte etwas abgeflaut und so wünsche ich uns allen, dass wir baldmöglichst wieder in einen etwas normaleren Modus kommen.
Franziska Gschwend
Bildungsdepartement, Leiterin Dienst für Recht und Personal