Die Stadt St.Gallen baut ihr Fernwärmenetz aus. Dabei entsteht ein Leitungsgraben quer über den Marktplatz/Bohl in St.Gallen. Die Kantonsarchäologie begleitet diese Bauarbeiten. Sie stiess dabei auf eine kleine Sensation: Neben archäologischen Überresten aus der Stadtgeschichte kamen Gräber eines bisher unbekannten Friedhofs aus dem Frühmittelalter zum Vorschein.
Das Grabungsteam unter der Leitung von Marco-Joshua Fahrni staunte nicht schlecht, als es neben den Resten des alten Rathauses, des im 15. Jahrhundert aufgefüllten Stadtgrabens und neuzeitlicher Abwasserkanäle auch Gräber entdeckte. Die fünf nachgewiesenen Körperbestattungen gehören zu den ältesten Befunden. Sie sind West-Ost-ausgerichtet, mit Blick gegen Osten, wie dies für christliche Gräber üblich ist.
Die Kantonsarchäologie schickte Knochenproben an die ETH Zürich, um deren Alter zu bestimmen. Die Resultate zeigen: Die Knochen gehören ins Frühmittelalter, ins späte 7. bis ins 9. Jahrhundert. Diese Datierung ist eine kleine Sensation und zeigt, wie weit sich das vom Kloster St.Gallen im Frühmittelalter beanspruchte Areal ausdehnte.
Weitere Untersuchungen
Die Anthropologin Liliana Pereira dokumentierte und bestimmte die Skelette vor. Da nicht alle Skelette vollständig erhalten sind, ist eine Bestimmung von Körpergrösse, Geschlecht und Sterbealter nicht immer möglich. Nachgewiesen sind vier erwachsene Personen, drei im Alter von 30 bis 40 Jahren, zwei davon Männer. Einzelne Knochen weisen auf krankhafte Veränderungen hin, die Zähne zeigen Abnutzung und Karies. Weitere Untersuchungen an den Skeletten erfolgen bei der Interkantonalen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung anthropologischer Funde.
Schon vor 90 Jahren Skelette entdeckt
Zwischen dem Klosterareal und St. Mangen waren bislang keine Bestattungen aktenkundig. Der archäologische Bericht zum 1933 erfolgten Bau der Gebäude Marktplatz 1 und 2 (heute acrevis und Marktplatz) erwähnt nichts Entsprechendes. Jedoch gibt es eine mündliche Überlieferung von zwei Mitgliedern der Familie Nobel, die in den 1930er-Jahren auf der Baustelle arbeiteten. Sie berichteten, dass man auf Skelette gestossen sei, diese aber rasch beiseitegeräumt und entsorgt habe.
Diese Überlieferung und die neu entdeckten Gräber sprechen für einen grösseren Friedhof. Interessant ist, dass in diesem Bereich keine Kirche oder Kapelle überliefert ist. Hier bietet sich ein breites Forschungsfeld für die Kloster- und Stadtgeschichte. Der Fund der Gräber zeigt, welche Bedeutung archäologische Untersuchungen für die Geschichte des UNESCO-Weltkulturerbes Stiftsbezirk und der Stadt St.Gallen hat.
Friedhöfe in der Stadt
Was heute aussergewöhnlich erscheint, war früher alltäglich: In oder direkt neben der Siedlung wurden die Bewohnerinnen und Bewohner begraben. Um des Seelenheils willen möglichst nahe einer Kirche. Privilegierte wurden innerhalb von Kirchen bestattet. In St.Gallen sind Gräber seit dem Beginn der Ansiedlung im 7. Jahrhundert nachgewiesen. Im Mittelalter wurde beim Kloster, bei St. Laurenzen, bei St. Johannes (heute Stadthaus), bei St. Kathrinen und bei St. Mangen bestattet. Mit der konfessionellen Spaltung wurden auch die Friedhöfe aufgeteilt. In der Stadt bestattete man seit 1566 nur noch bei der St. Mangenkirche. Dieser Friedhof wurde 1876/77 aufgehoben und 1897 definitiv geräumt. Seit 1874 besteht der (überkonfessionelle) Friedhof Feldli und seit 1908 der Ostfriedhof. Im Stiftsbezirk finden nur noch die Bischöfe von St.Gallen in der Otmarskrypta ihre letzte Ruhestätte.
Artikel und Interview
Auf der Website der St.Galler Stadtwerke ist ein Artikel zur archäologischen Begleitung der Fernwärme publiziert!