Die Rechtspflegekommission hat ihren Bericht über die Prüfungstätigkeit der Jahre 2022/2023 verabschiedet. Sie prüfte das Kreisgericht St.Gallen, das Untersuchungsamt Gossau sowie das kantonale Konkursamt und unterbreitet mehrere Empfehlungen.
Die Rechtspflegekommission ist das parlamentarische Aufsichtsgremium über die kantonalen Justizbehörden. Sie hat im Rahmen ihrer ordentlichen Prüfungstätigkeit drei Visitationen durchgeführt. Dabei besuchte sie die geprüften Institutionen und befragte deren Mitarbeitende über aktuelle Herausforderungen ihrer Tätigkeit. Übergreifendes Schwerpunktthema der diesjährigen Prüfungstätigkeit war die Digitalisierung der Justiz.
Die Rechtspflegekommission liess sich von den besuchten Stellen über bereits digitalisierte Bereiche, bevorstehende Digitalisierungen, die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs sowie die Involvierung von Mitarbeitenden in Digitalisierungsprojekte informieren. Sie traf dabei unterschiedlich ausgeprägte Nutzungsformen an, die teilweise auch einen gewissen Nachholbedarf offenlegten. So druckt beispielsweise eine Institution Eingaben, welche über den elektronischen Rechtsverkehr eingereicht wurden, weiterhin aus und führt die Verfahrensakten in Papierform weiter. Demgegenüber führt eine andere Institution soweit möglich alle Akten elektronisch und scannt ergänzend physische Akten ein, um den Verfahrensbeteiligten die digitale Akteneinsicht unkompliziert zu ermöglichen.
Eine Herausforderung stellen die rechtlichen Rahmenbedingungen dar, die sich derzeit mit dem Bundesprojekt «Justitia 4.0» im Umbruch befinden. Positiv aufgefallen sind bei den Besuchen jene Stellen, die sich in Bezug auf die Digitalisierung als «First Mover» verstehen. Sie nutzten im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten den Spielraum für digitale Optimierungen innovativ aus. Die Rechtspflegekommission begrüsst diesen Effort und wünscht sich entsprechende Bemühungen auch von weiteren Justizbehörden.
Visitierte Stellen im Prüfungsjahr 2022/2023
Die zuständige Subkommission der Rechtspflegekommission besuchte im Berichtsjahr das Kreisgericht St.Gallen und traf dabei auf ein gut organisiertes Gericht. Im Vordergrund stand die unzulängliche Raumsituation, welche sich jedoch mit dem vorgesehenen Umzug des Gerichts an die Schützengasse im Jahr 2028 verbessern wird (vgl. 35.22.01). Thematisiert wurden auch der Einbezug der nebenamtlichen Richterinnen und Richter sowie die bisher ungenutzten Möglichkeiten der Digitalisierung, welche den Gerichten die Arbeit erleichtern könnten.
Das Untersuchungsamt Gossau hinterliess bei der Visitation einen innovativen Gesamteindruck bei der zuständigen Subkommission. Aus der Not heraus wurden Projekte vorangetrieben, welche das Untersuchungsamt bei der Bewältigung seiner Kernaufgaben unterstützen. Die Rechtspflegekommission sieht Verbesserungsbedarf bei der Informatikunterstützung der Untersuchungsämter. Zudem empfiehlt sie der Regierung, mithilfe eines interkantonalen Vergleichs zu überprüfen, ob die Pikettentschädigungen von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten noch angemessen sind. Weiter empfiehlt die Rechtspflegekommission, ein Springersystem, wie es die Kreisgerichte bereits kennen, auch für die Untersuchungsämter zu prüfen, um Belastungsspitzen zu brechen.
Beim Besuch des Konkursamtes St.Gallen traf die zuständige Subkommission sehr motivierte und engagierte Mitarbeitende an. Trotz zeitgemässer Büroräumlichkeiten bereiten die fehlenden Erweiterungsmöglichkeiten insbesondere bei der Akteneinsicht Schwierigkeiten. Die digitale Aktenführung ist aufgrund der engen Zusammenarbeit mit noch nicht digitalisierten Vorinstanzen und umfangreichen Konkursakten erst teilweise etabliert, jedoch besteht eine hohe Bereitschaft zur Digitalisierung. Die Rechtspflegekommission empfiehlt dem Konkursamt, die Möglichkeiten der digitalen Aktenführung soweit wie möglich auszuschöpfen.
Geschäftsbericht der Staatsanwaltschaft erstmals veröffentlicht
Auf die letztjährige Empfehlung der Rechtspflegekommission hin veröffentlichte die Staatsanwaltschaft dieses Jahr zum ersten Mal ihren Geschäftsbericht. Die zunehmende Belastungssituation und die Ressourcenfrage werden darin zentral thematisiert. Die Rechtspflegekommission anerkennt die Anliegen der Staatsanwaltschaft sowie ihre Bemühungen zur Effizienzsteigerung im Umgang mit den vorhandenen Ressourcen. Die Sorge darum, dem gesetzlichen Auftrag angemessen gerecht zu werden, kann sie entsprechend nachvollziehen. Ein Lösungsansatz ist die interkantonale Zusammenarbeit in Form von Kompetenzzentren, die Ressourcen bündeln und Spezialisierungen ermöglichen würden. Diese Zusammenarbeit müsste jedoch zuerst von den Entscheidungsträgern der Kantone initiiert beziehungsweise intensiviert werden, was nicht in der Hand der Rechtspflegekommission liegt. Sie wird sich jedoch im nächsten Prüfungsjahr mit der angespannten Situation der Staatsanwaltschaft befassen, erwartet aber auch eine vertiefte Analyse der konkreten Problemfelder, um daraus Erkenntnisse für explizite Handlungsmassnahmen gewinnen zu können.
Richterwahlen optimieren
Neben der ordentlichen Prüfungstätigkeit prüfte die Rechtspflegekommission im Rahmen einer Nachbetrachtung der Gesamterneuerungswahlen der kantonalen Gerichte für die Amtsdauer 2023/2029 mögliche Optimierungen für die Richterwahlen. Sie lud Prof. Benjamin Schindler, Professor für öffentliches Recht an der Universität St.Gallen, ins Plenum ein und tauschte sich im Rahmen eines Besuchs mit der Justizkommission des Grossen Rats Bern aus. Ihre Erkenntnisse und Empfehlungen wird sie mit den Fraktionen aufnehmen, um weitere Optimierungen für zukünftige Richterwahlen zu prüfen und umzusetzen. Der Kantonsrat berät die Vorlage in der kommenden Sommersession in einziger Lesung. Der Bericht der Rechtspflegekommission ist auf der Webseite das Kantonsrates (www.kantonsrat.sg.ch) unter der Geschäftsnummer 82.23.02 zu finden.