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Publiziert am 21.12.2022 09:00 im Bereich Allgemein
Psychiatrie

Die Regierung liess experimentelle Psychopharmaka-Versuche in psychiatrischen Kliniken des Kantons St.Gallen zwischen 1950 und 1980 prüfen. Sie nimmt mit Erleichterung zur Kenntnis, dass ohne Einwilligung keine systematische experimentelle Abgabe von Medikamenten erfolgte. Vereinzelt wurden aber Substanzen verabreicht, die noch nicht zugelassen waren. Mit einer Anlaufstelle will die Regierung Betroffenen ermöglichen, ihre persönliche Geschichte bei einem Verdacht auf Verabreichung von Medikamenten ohne Einwilligung zu verarbeiten.

In den letzten Jahren erschienen zahlreiche Medienberichte über experimentelle Versuche mit Psychopharmaka in psychiatrischen Kliniken der Schweiz, die ohne Wissen und Einwilligung der Patientinnen und Patienten erfolgt sind. Die Regierung erachtet es als wichtig, Vorgehensweisen staatlicher Institutionen aufzuarbeiten, wenn der Verdacht besteht, dass dabei die Integrität von Menschen verletzt worden ist.

In einer Pilotstudie über die Praxis im Kanton St.Gallen identifizierte die Verfasserin Dr. Marina Lienhard bei Stichproben von 1'042 Patientenakten 67 Patientinnen und Patienten, die mindestens eine Substanz erhielten, die zum Zeitpunkt der Verabreichung (noch) nicht zugelassen war. Soweit ersichtlich, wurden im Kanton St.Gallen Testsubstanzen nur im Sinne von Heil- oder Therapieversuchen und nicht als Humanexperiment mit rein wissenschaftlicher Zielsetzung verabreicht. Umfang und Praxis von noch nicht zugelassenen Substanzen bewegten sich im Kanton St.Gallen im Vergleich zu anderen Kantonen im Durchschnitt.

Ein juristisches Gutachten von Prof. Dr. Lukas Gschwend, Universität St.Gallen, kommt zum Schluss, dass die St.Galler Psychiatrie hinsichtlich der Anwendung und Unterstützung von pharmazeutischen Forschungsinnovationen im Untersuchungszeitraum aus juristisch-zeitgeschichtlicher Sicht grundsätzlich als sorgfältig, verantwortungsbewusst und relativ zurückhaltend erscheint.

Die Regierung will Betroffene bei einem Verdacht auf Verabreichung von nicht zugelassenen Medikamenten ohne deren Einwilligung während ihres Aufenthalts in einer st.gallischen Psychiatrischen Klinik zwischen 1950 und 1980 bei der Aufarbeitung der persönlichen Geschichte mit einer Anlaufstelle unterstützen. Konkret bietet die Anlaufstelle Gelegenheit, die entsprechenden Patientenakten zu beschaffen und mit zwei erfahrenen Psychiaterinnen eine Sichtung der Krankenakten vorzunehmen. Die Anlaufstelle nimmt ihre Tätigkeit per 1. Januar 2023 auf und ist auf ein Jahr befristet mit der Möglichkeit einer Verlängerung.

Die Pilotstudie und das juristische Gutachten sowie Ausführungen zur Anlaufstelle sind auf der Website des Gesundheitsdepartementes für die Öffentlichkeit einsehbar:

www.sg.ch

Die Koordinaten der Anlaufstelle sind:

Für Betroffene mit Wohnsitz im nördlichen Kantonsteil (Wahlkreise Toggenburg, Wil, St.Gallen, Rorschach):

Dr.med. Erika Heredia, Fachärztin FMH für Psychiatrie u. Psychotherapie, Obere Bahnhofstrasse 9, 9500 Wil SG, 071 911 09 20, heredi@hin.ch.

Für Betroffene mit Wohnsitz im südlichen Kantonsteil (Wahlkreise Rheintal, Werdenberg, Sarganserland, See-Gaster):

Dr.med. Thomas Meier, Facharzt FMH für Psychiatrie u. Psychotherapie, Alvierstrasse 19, 7324 Vilters, 079 955 93 94, thomas.meier-vanberkel@hin.ch.