Viele rechtliche Verfahren wie zum Beispiel Scheidungen, Strafverfahren oder ausserfamiliäre Platzierungen betreffen Kinder direkt. Die UN-Kinderrechtskonvention schreibt vor, dass Kinder und Jugendliche bei diesen Verfahren angemessen beteiligt werden. In seiner Strategie «Kindesschutz» setzte sich der Kanton St.Gallen deshalb das Ziel, kindgerechte Verfahren zu fördern. Eine Arbeitsgruppe hat die Situation im Kanton untersucht und Massnahmen sowie Empfehlungen formuliert.
Die UN-Kinderrechtskonvention definiert die grundlegenden Rechte von Kindern und Jugendlichen. Dazu gehört, dass man Kinder und Jugendliche bei allen sie betreffenden Angelegenheiten beteiligt (Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention). Im Rahmen der kantonalen Strategie zum Kindesschutz untersuchte eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Amtes für Soziales die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen rechtlichen Verfahren. Dabei unterstützte sie beratend der Verein Kinderanwaltschaft Schweiz im Rahmen des Programms «child-friendly justice».
Untersuchung zeigt hohe Sensibilität und Handlungsbedarf
Mit einer Befragung von Fachpersonen untersuchte die Arbeitsgruppe, wie Kinder zum Beispiel in Scheidungsverfahren, Kindesschutzverfahren oder Jugendstrafverfahren beteiligt werden. Die Resultate zeigten, dass sie meistens ihrem Entwicklungsstand entsprechend informiert, einbezogen und angehört werden. Es zeigte sich aber auch Handlungsbedarf in einzelnen Bereichen. Als Folge daraus wurden Weiterbildungen zur Anhörung von Kindern für Fachleute durchgeführt, kindgerechte Informationsmaterialien erstellt oder an einer einheitlichen Praxis im Umgang mit Rechtsvertretungen von Kindern gearbeitet.
Empfehlungen als Wegleitung für alle Organisationen
Die Befragung und die getroffenen Massnahmen trugen bereits wesentlich zur Sensibilisierung für kindgerechte Verfahren bei. Zusätzlich erarbeitete die Arbeitsgruppe Empfehlungen für kindgerechte Verfahren im Kanton St.Gallen. Diese basieren auf den Grundprinzipien Partizipation, übergeordnetes Kindesinteresse, Würde, Schutz vor Diskriminierung und Rechtsstaatlichkeit. Im Fokus stehen Themen wie Information, Rechtsvertretung, Anhörung sowie kindergerechte Umgebung in den entsprechenden Räumlichkeiten der Behörden beziehungsweise Organisationen. Sie sind für die Organisationen, deren Fachpersonen in Verfahren mit Kindern arbeiten, rechtlich nicht bindend, dienen aber als wichtige Wegleitung. Damit sollen die Verfahren im Kanton St.Gallen kindgerechter werden.
Auch auf Bundesebene wird die Beteiligung untersucht
Im Auftrag des Bundesamts für Justiz führte das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) eine Studie zur Umsetzung von Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention durch. An der Studie nahmen neun Kantone, unter anderem auch der Kanton St.Gallen, teil. Das Resultat der Studie wurde im September 2020 veröffentlicht (abrufbar unter https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/62643.pdf). Das SKMR kommt darin zum Schluss, dass die Partizipationsrechte des Kindes nach Art. 12 KRK in der Schweiz noch nicht vollständig umgesetzt seien, wobei es zwischen den Kantonen grosse Unterschiede gebe. Art. 12 KRK ist gemäss SKMR eine direkt anwendbare Staatsvertragsbestimmung, weshalb es von Seiten des Bundes und der Kantone Strategien brauche, um das Verständnis des Artikelinhalts zu fördern.