Die Regierung unterbreitet dem Kantonsrat eine Vorlage für eine Änderung des Volksschulgesetzes. Diese ermöglicht den Gemeinden, stillgelegte Plätze an den Sprachheilschulen bei Bedarf wieder aktivieren zu können. Die Vorlage erfüllt eine gutgeheissene Motion des Kantonsrates.
Mit einem neuen Versorgungskonzept für den Sonderschulunterricht hat der Kanton St.Gallen das Angebot an Tagessonderschulen im Sprachheilbereich um gut 30 Plätze vergrössert. Namentlich konnte die Sprachheilschule St.Gallen im Rheintal eine Filiale eröffnen. Um die im statistischen Vergleich hohe Zahl St.Galler Schulkinder mit besonderem Bildungsbedarf nicht zusätzlich anwachsen zu lassen, wurden im Gegenzug rund 40 Plätze im Sprachheilbereich, vornehmlich Internatsplätze, stillgelegt. Nach einem Versorgungsengpass auf das Schuljahr 2018/19 hat der Kantonsrat mit einer Motion die Regierung beauftragt, per Gesetz das Angebot an Sonderschulplätzen zu erhöhen.
Spannungsfeld zwischen Integration und Separation
Der Auftrag wird erfüllt, indem die stillgelegten Plätze wieder benutzbar und die neu geschaffenen dennoch beibehalten werden. Netto erhöht sich damit das Platzangebot. Mit dieser Massnahme setzt der Kanton St.Gallen einen Akzent auf die Separation von Schulkindern mit besonderem Bildungsbedarf. Das Staatsvertragsrecht (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) und das Bundesrecht (Behindertengleichstellungsgesetz) betonen in der Sonderpädagogik die Integration, das heisst die Förderung der Schülerinnen und Schüler im regulären Klassenverband.
Übergangsrecht vor umfassender Evaluation
Wie alle Kantone hat auch St.Gallen unlängst die Sonderpädagogik gesamthaft neu geregelt – dies mit einem breiten Schulentwicklungs- und Gesetzgebungsprojekt. Dabei haben die Regierung und der Bildungsrat ein Sonderpädagogikkonzept erlassen, das zurzeit noch in der Einführungsphase steht. Bezüglich Integration und Separation verfolgt das Konzept einen pragmatischen Mittelweg nach dem Prinzip «so viel Integration wie möglich, so viel Separation wie nötig». Nach Abschluss der Einführung im Jahr 2022 ist eine umfassende Evaluation des Sonderpädagogikkonzeptes mit Unterstützung einer externen Expertenstelle geplant. In deren Rahmen ist auch das Verhältnis von Integration und Separation fundiert zu beleuchten – namentlich auch mit Blick auf den Stellenwert der Sonderpädagogik im Schulwesen aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung und dem damit verbundenen Aufwand. Insoweit hat die nun in den Kantonsrat gelangende Gesetzesvorlage Übergangscharakter. Aus der Evaluation kann sich neuerlicher Gesetzgebungsbedarf aus ganzheitlicher Perspektive ergeben.
Der Gesetzesnachtrag gelangt in Nachachtung der Frist für die Erfüllung gutgeheissener Motionen so in den Kantonsrat, dass dieser in der Februarsession 2021 die vorberatende Kommission bestellen und das Geschäft auf die Aprilsession 2021 für die erste Lesung vorbereiten kann.